Ein Gespräch mit Michael Löhner

 

Michael Löhner prägt seit vielen Jahren die Entwicklung von Führungskräften und Unternehmenskulturen im deutschsprachigen Raum. Zu seinen Kunden zählen die Vorstände der DAX-Unternehmen, genauso wie Mittelständler und Entrepreneure. Sein Weltbild ist von der scharfen Logik des Jesuitenordens geprägt, sein Lehrer war der Philosoph und Jesuitenpater Rupert Lay persönlich. Michael Löhner ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen. Aus seiner Feder stammen die Bücher Unternehmen heißt Denken, Unternehmen heißt lernen und Führung neu denken.

 

 

Committed Leadership: Herr Löhner, der Aufmacher unserer Webseite lautet ähnlich wie eines Ihrer Bücher: Führung neu denken. Ist über Führung nicht längst alles gesagt, geschrieben und unterrichtet worden?

Michael Löhner: Sie haben recht, die Menge an Literatur und Lehren zu exzellentem Management ist enorm und scheint nach wie vor exponentiell zu wachsen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass zum Führen immer noch Menschen gehören, die die Rolle der Führenden übernehmen. Und das sind über den Zeitablauf nicht immer dieselben. Junge Führungskräfte mit einem völlig anderen Verständnis der Welt kommen hinzu, ältere mit ihrem über viele Jahrzehnte angesammelten Wissen scheiden aus. Menschen, die seit vielen Jahren geführt wurden, werden zu Führungskräften befördert. Dazu kommt, dass sich unsere Welt permanent verändert und das in einer immer größeren Geschwindigkeit. Führungskonzepte, die vor 20 Jahren gepasst haben, funktionieren heute nicht mehr. Es ist also durchaus jederzeit an der Zeit, Führung neu zu denken. Ihre Webseite und mein Buch haben nichts an Aktualität verloren. Es reicht aber nicht, nur neu darüber nachzudenken, wir müssen auch verstehen und das Gelernte anwenden. Insofern ist mein Buch Unternehmen heißt lernen, vielleicht das entscheidendere Werk, auf das an dieser Stelle hingewiesen werden sollte.

Committed Leadership: Das Stichwort „Lernen“ greifen wir gerne auf. Im Moment, so scheint es, müssen wir den Umgang mit Angst neu lernen. Bislang, so sind die Strukturen der meisten deutschen Großkonzerne angelegt, begegnet man Angst, beziehungsweise der die Angst auslösenden Unsicherheit durch Kontrolle und Steuerung. Getreu dem Motto: Was ich kontrollieren kann, macht mir keine Angst mehr. Das funktioniert in der sich immer schneller verändernden und immer komplexeren Welt zunehmend schlechter. Und der Corona-Virus zeigt uns auch die Grenzen der Kontrollierbarkeit auf.

Michael Löhner: Wir erleben zurzeit in ungewohntem Ausmaß das Gefühl von Kontrollverlust. Aktuell fühlen wir uns durch eine Komplexität irritiert, die unsere bisherigen Einstellungen und Gewohnheiten überfordert. Unsere soziale Welt ist durch Abstandsregeln und Isolation verändert, die rationale Orientierung über Erkenntnis und Logik ist teilweise außer Kraft gesetzt. Die emotionale Sicherheit zwischen Hoffnung und Furcht ist nicht tragfähig und unsere Suche nach Sinn und Anker in der Krise kann sich zwischen den Angeboten kaum entscheiden. Generell wissen wir nur: In schwierigen Situationen ist alles richtig und gut, was anderen Menschen nutzt.

Committed Leadership: Worauf kommt es jetzt als Führungskraft an?

Michael Löhner: Führungskräfte brauchen im Moment zwei besondere Fähigkeiten: Sie müssen Vertrauen aufbauen können und sie müssen Angst abbauen können. Der Aufbau beider Kompetenzen hat eine bewusstseinstechnische und eine interaktionstechnische Dimension. Warum sage ich das? Weil das beides Kompetenzfelder sind, die sehr erfolgreich geschult werden können, z.B. in Coaching-Sessions. Ich glaube, dass das die geeignete Antwort auf die aktuellen Unsicherheiten ist.

Committed Leadership: Ist es dann wichtiger, mit dem Angstabbau bei sich selbst zu beginnen oder reicht es aus, als Führungskraft Sicherheit auszustrahlen, damit die Mitarbeiter ihre Angst verlieren?

Michael Löhner: Natürlich ist es sehr hilfreich, wenn die Führungskräfte nicht von Angst getrieben sind, auch in der aktuellen Situation. Dann fällt es ihnen natürlich leichter, Ruhe und Gelassenheit auszustrahlen. Aber ganz egal, ob man nun diesen Vorteil der Gelassenheit mitbringt oder nicht, ist es im Moment wichtig, als Führungskraft die Angst bei den Mitarbeitern zu nehmen. Sehr hilfreich ist dabei, auf natürliche, nicht auf hierarchische oder fachliche Autorität zu setzen. Ich definiere natürliche Autorität als die Fähigkeit, eine Ausstrahlung zu haben, der andere Menschen freiwillige und respektvolle Gefolgschaft leisten.

Menschen verlieren ihre Angst, wenn sie jemand haben, mit dem sie angstfrei über Ängste sprechen können. Der beste Lernprozess in der Entfaltung einer Persönlichkeit ist nicht die Veränderung von sich selbst, sondern die Fähigkeit, andere zu verändern. Wenn ich in der Lage bin, technisch, diszipliniert Menschen Angst zu nehmen, verliere ich sie auch selbst. Deswegen ist mein Motto: „Lernen durch Lehren“. Man muss nicht alles können, was man bei Menschen bewirken will, aber man muss es bei anderen bewirken können. Das lässt sich lernen.

Committed Leadership: Wahrscheinlich wird es nicht ausreichen, nur Ängste zu nehmen. Was brauche ich als Führungskraft noch?

Michael Löhner: Platon hat gesagt, man hat nur zwei Feinde – und die sind aktueller denn je: Erstens, Realitätsverlust bei Planung und Entscheidung, d.h. ich plane etwas und entscheide etwas, was an der Realität scheitern wird und Zweitens, Mehrheitsverlust. Wenn ich das Erkannte alleine nicht umsetzen kann, dann muss ich Menschen dahinter stellen können. Sonst werde ich scheitern.

Der Umgang mit beiden Feinden ist in Persönlichkeitstrainings lernbar.

Committed Leadership: Die Lockerungen nach den großen Einschränkungen im Zuge der Eindämmung der Ausbreitung des Corona-Virus nehmen gerade zu und man bemerkt, wie sich alle danach sehnen, dass die alte Normalität zurückkehrt. Können wir unseren Mitarbeitern versprechen, dass wir diese alte Normalität wieder erreichen werden?

Michael Löhner: Das sollten wir nicht. Kennen Sie die Geschichte von Orpheus und Eurydike? Orpheus verlor Eurydike endgültig, weil er seinen Blick nicht konsequent genug nach vorne gerichtet hatte. Ich liebe diese Sage, weil sie eines sehr deutlich darstellt: Nichts wird mehr so sein, wie es war. Sich umdrehen und nach hinten schauen ist verhängnisvoll. Nur ein entschlossener Blick nach vorn wird uns in die neue Welt nach Corona führen können.

Committed Leadership: Herr Löhner, vielen Dank für dieses Gespräch!

 


Kurzfassung der Sage von Orpheus und Eurydike

Orpheus war unendlich verliebt in die griechische Nymphe Eurydike.

Diese wurde eines Tages von einer Schlange gebissen und starb. Orpheus wurde von einer unendlichen Traurigkeit erfasst und konnte nicht mehr schlafen. Er beschloss, an das Ende der Welt zu wandern, wo der der Eingang in das Totenreich vermutet wurde. Er stellte sich vor den Eingang, rief nach seiner Frau und sang die herzerweichendsten Lieder. Schließlich nahm ihn der Fährmann mit auf die andere Seite in die Unterwelt. Orpheus gelang es, die Hüter der Unterwelt davon zu überzeugen, Eurydike mit hinauf in das Reich der Lebenden nehmen zu dürfen. Allerdings unter der Bedingung, dass er sich nicht ein einziges Mal nach ihr umsehen dürfe, bis sie beide das Licht der Welt wieder erblickt hätten. Orpheus ging voran, Eurydike folgte ihm. Als sie schon das Licht sahen, drehte sich Orpheus aus Angst, Eurydike sei nicht mehr hinter ihm, nach ihr um. In diesem Moment verlor Orpheus Eurydike für immer.

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