In einem gesellschaftlichen Konsens haben wir Emotionen und Spiritualität aus unseren Beurteilungs- und Entscheidungssystemen verbannt. Wir übersehen damit einen sehr großen, wenn nicht sogar den allergrößten Teil der Möglichkeiten, den wir als Führungskraft für Entscheidungen haben. Ein zentrales Anliegen von Committed Leadership ist es, Führungskräften Emotionalität und Spiritualität so zugänglich zu machen, dass sie aus einem Zustand umfassenden inneren Verständnisses heraus, diese neben der Ratio als Informationslieferanten nutzen und deshalb in ihrer Führungsaufgabe gute Entscheidungen[1] treffen können. Als angenehmen Nebeneffekt erlangt man damit gleichzeitig auch selbst tiefen inneren Frieden und strahlt diesen auf seine Mitmenschen und eben auch Mitarbeiter aus.
In der Psychologie wird als blinder Fleck derjenige Persönlichkeitsanteil bezeichnet, den wir jeweils haben, aber selbst nicht in der Lage sind, wahrzunehmen. Es fehlt uns an Bewusstsein hierfür. Dies führt in der Konsequenz dazu, dass wir zum einen nicht unsere vollen Möglichkeiten ausschöpfen, weil wir einen Teil von uns nicht nutzen können. Zum anderen kompensieren wir den nicht wahrgenommen Persönlichkeitsanteil durch in der Regel eher unglückliche Verhaltensweisen. Wir handeln dann in unserem sogenannten “Schatten”.
Im Selbstverständnis von Committed Leadership wird diese Definition um das fehlende Bewusstsein für Phänomene erweitert, die wir als gesellschaftlichen Konsens in uns als Führungskräften ausblenden, deshalb nicht bewusst wahrnehmen und eben dann auch nicht in unseren Möglichkeiten berücksichtigen: Dies sind insbesondere die in uns angelegte Emotionalität und Spiritualität.
Trans-Rationalität erweitert unsere Möglichkeiten
Grob betrachtet entwickelt sich das Bewusstsein eines Menschen in drei Stufen: Die Entwicklung startet auf der prärationalen Stufe, in der wir uns und unsere Umwelt ohne rationalen Verstand wahrnehmen. Auf dieser Stufe finden sich Kleinkinder oder Babys. Danach entwickelt sich der Mensch zur rationalen Stufe. Mindestens 95% der erwachsenen Menschen befinden sich hier. Die dritte Stufe der Bewusstseinsentwicklung ist dann die trans-rationale Stufe, auf der wir neben dem rationalen Verstand auch andere Informationsquellen, z.B. Emotionen oder Spiritualität, zulassen.
Abbildung: Die drei elementaren Stufen der Bewusstseinsentwicklung
Emotionen und Spiritualität als nicht-rationale Phänomene bemerken wir als körperliche Empfindungen oder plötzliche Eingebungen. Wenn wir sie bemerken, dann oft ohne, dass wir in der Lage sind, eine plausible Erklärung für ihr Auftreten abgeben zu können. Das macht den Umgang damit so schwierig. Jeder von uns hat jedoch schon mal „eine Eingebung“ gehabt oder in einer Situation „intuitiv“ richtig reagiert und kann deshalb bestätigen, dass es sie gibt, diese trans-rationalen Phänomene. Wir wurden nur angeleitet, sie als wenig hilfreich, eher als störend einzuordnen. Gerade in der Welt der Führungs-Alphatiere sind Emotionen und Spiritualität geradezu verpönt und werden als Zeichen von Unprofessionalität wahrgenommen. In der Regel sind wir – egal ob Führungskraft oder nicht – mittlerweile gar nicht mehr in der Lage, die Hinweise unserer Gefühle oder unserer Spiritualität wahrzunehmen und noch viel weniger, diese dann auch geeignet zu interpretieren. Wir sind emotional und spirituell inkompetent geworden.
Wenn wir aber Emotionen und Spiritualität nicht in unsere Wahrnehmungen und Evaluationen mit aufnehmen, werden unsere Entscheidungen immer nur einen Bruchteil der Möglichkeiten in Betracht ziehen können, die es tatsächlich gibt. Wir haben einen blinden Fleck in unseren Wahrnehmungs- und Entscheidungssystemen.
Dieser blinde Fleck wird für uns, unsere Unternehmen und die Gesellschaft, in der unsere Unternehmen agieren, zunehmend zu einer Gefahr. Denn der rationale Verstand gelangt aufgrund der immer größer werdenden Komplexität der Aufgabenstellungen, die Führungskräfte zu bewältigen haben, schon heute häufig an seine Grenzen. Für eine Führungskraft wird es zukünftig überlebenswichtig sein, die eigene Ratio durch weitere Verstandesebenen zu ergänzen.
Wichtig ist aber gleichzeitig festzuhalten, dass es bei der Beschäftigung mit Emotionen und Spiritualität im Rahmen von Committed Leadership nicht um eine Abschaffung rationalen Denkens geht. Ganz und gar nicht.
Der rationale Verstand wird benötigt, um unsere trans-rationalen Erkenntnisse zu bewerten und in einen Gesamtkontext einzuordnen. Albert Einstein soll es auf den Punkt gebracht haben, als er sagte: „Der intuitive Verstand ist ein heiliges Geschenk, der rationale Verstand ein treuer Diener.“ Einstein hat aber auch erkannt, dass wir in unserer heutigen Gesellschaft den Verstand überhöhen: „Wir haben eine Gesellschaft erschaffen, die den Diener ehrt und das Geschenk vergessen hat.“ [2]
Der rationale Verstand unterscheidet uns von allen anderen Primaten und erst ihm haben wir unsere Hochkultur zu verdanken. Aber er kann eben nicht alles. Führungsentscheidungen der Trans-Rationalität beziehen die Rationalität explizit mit ein, genauso wie Emotionalität und Spiritualität. Sie nutzen den ganzen Lösungsraum.
Emotional und spirituell kompetent werden
Seit etwa Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts ist das Konzept der emotionalen Intelligenz von Daniel Goleman[3] bekannt und populär. Die Arbeiten von Daniel Goleman passen sehr gut in die Idee von Committed Leadership. Ihm geht es genau darum, neben der Rationalität auch die Emotionalität in das Denken und Handeln einzubeziehen. Viele seiner Erkenntnisse greift Committed Leadership auf.
Committed Leadership geht in Erweiterung von Goleman davon aus, dass grundsätzlich jeder Mensch emotional intelligent ist, nicht jedoch zwangsläufig damit auch gleichzeitig emotional kompetent.
Warum diese Unterscheidung? Nun, Intelligenz beschreibt die grundlegenden Möglichkeiten eines Menschen in einem spezifischen Betrachtungsfeld, die über sein Leben hinweg weitgehend unverändert sind. Zum Beispiel beschreibt der Intelligenzquotient IQ die in einem Test gemessene logisch-rationale Intelligenz eines Menschen. Mit einem IQ von 80 ist man weniger intelligent als mit einem IQ von 90. Daran, so das Verständnis von Intelligenz, kann man in seinem Leben auch nichts mehr ändern. Der IQ ist sozusagen vom Schicksal vorgegeben. Sehr wohl kann man aber daran arbeiten, den eigenen IQ bestmöglich einzusetzen. Und so kann es durchaus passieren, dass ein Mensch mit einem IQ von 80 einem anderen mit einem IQ von 90 in einer Sache überlegen ist, weil er gelernt hat, seinen logisch-rationalen Verstand gekonnt zu nutzen.
Kompetent wird man also erst, wenn man gelernt hat, seine Intelligenz gekonnt einzusetzen. Und darum geht es bei Committed Leadership: Wir wollen Führungskräfte, die gleichermaßen rational, emotional und spirituell kompetent sind. Das ist das ungenutzte Potential, das gesehen und genutzt werden will.
Da Committed Leadership nicht nur den einzelnen Menschen, sondern auch sein direktes Umfeld, die Organisation für die er arbeitet, wie auch die Einbettung dieser in die Gesellschaft im Blick hat, ergibt sich nachfolgende Darstellung zur Visualisierung des enormen Potenzials, das gehoben werden kann.
Abbildung: Unser Potential als Committed Leader
Die neuen Möglichkeiten durch emotionale Kompetenz
Emotionale Kompetenz ist die Fähigkeit, eigene und fremde Gefühle zur erkennen, zu unterscheiden und ihre jeweilige Botschaft zu verstehen. Dazu kommt die Fähigkeit, einen geeigneten Umgang mit den Gefühlen zu erlangen, indem wir diese nutzen, ohne uns von ihnen vereinnahmen zu lassen. Grundannahme ist, dass es keine „guten“ und keine „schlechten“ Gefühle gibt, sondern dass jedes Gefühl seine ganz spezifische Aufgabe hat. Diese besteht darin, den Gefühlsinhaber auf etwas aufmerksam zu machen oder ihn zu einer Handlung zu bewegen. Nicht das dauerhafte Streben nach Glück ist die zentrale Aufgabe, sondern die Fähigkeit, auf die Botschaften der eigenen Gefühlswelt zu hören, hieraus geeignete Handlungen abzuleiten und durchzuführen und so zu einem inneren Frieden zu finden. Dies hat nicht nur eine positive Wirkung für den Committed Leader selbst, sondern auch für sein gesamtes privates und berufliches Umfeld. Eher nebenbei wird dadurch der weiter oben angesprochene erweiterte Lösungsraum ausgenutzt.
Bei der Entwicklung der emotionalen Kompetenz geht es zunächst darum, überhaupt erst einmal die verschiedenen Gefühlszustände, also die verschiedenen Gefühle und ihre unterschiedlichen Aggregatszustände, kennenzulernen und die eigenen Gefühle von denen anderer unterscheiden zu lernen. Erst dann ist die hohe Kunst der Empathie möglich, die einen wesentlichen Faktor erfolgreicher Führungsarbeit darstellt.
Wenn nur ein Teil der emotionalen Kompetenz beherrscht wird, führt dies regelmäßig zu unglücklichen Situationen. Angenommen, Sie beherrschen die Fähigkeit des Erkennens von Emotionen, nicht aber die Fähigkeit, zu unterscheiden, ob das nun Ihre eigenen Emotionen oder die des Gegenübers sind. Dies kann dann dazu führen, dass Sie Ihre eigenen Gefühle fälschlicherweise als die des Gegenübers wahrnehmen oder unbewusst die Gefühlswelt des Gegenübers annehmen. Möglicherweise sind Sie jetzt plötzlich verärgert, ohne zu erkennen, dass Sie den Ärger Ihres Gegenübers empfinden. Und Ihr Ärger, also eigentlich der von Ihrem Gegenüber, führt dann zu unglücklichen Äußerungen gegenüber Ihren KollegInnen.
Die Schulung emotionaler Kompetenz ist ein zentrales Anliegen von Committed Leadership. Hierfür sind für Anfang 2021 erste Angebote geplant.
Spirituelle Kompetenz: Die schönere Welt ist möglich
Während emotionale Kompetenz konkret beschreibbare Phänomene (Gefühle) als Ausgangsbasis hat, baut spirituelle Kompetenz auf Erkenntnissen aus einem stark erweiterten Bewusstseinsfeld auf.
Es geht darum, sich im Rahmen eines spirituellen Prozesses völlig von der Ratio zu lösen. Die dabei regelmäßig auftretenden Erkenntnisse (z.B. Bedeutungslosigkeit des eigenen Selbst, sich einer größeren universellen Kraft anvertrauen können, Erkennen von Liebe als die eine zentrale Kraft) halten Einzug in den Beurteilungs- und Entscheidungsprozess des Committed Leaders.
Erst hier entsteht dann die eigentliche, große Kraft des Committed Leadership: Die Verknüpfung der Weisheit unseres Herzens mit dem weiten Bewusstseinsfeld einer entwickelten Persönlichkeit.
Oder wie Charles Eisenstein es formuliert: Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich.[4]
Committed Leaders machen es sich zur Aufgabe, diese schönere Welt möglich zu machen.
[1] Eine gute Entscheidung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie möglichst frei von persönlichen Anliegen, also frei vom eigenen Ego, unter Berücksichtigung eines möglichst großen Lösungsraumes für zur Auswahl stehende Alternativen getroffen wird.
[2] Dieses Zitate werden sehr häufig Albert Einstein zugeordnet. Es scheint jedoch keine Originalquelle zu geben, die sie auch tatsächlich belegen. Siehe hierzu auch diesen Beitrag im Internet.
[3] Daniel Goleman ist ein US-amerikanischer Psychologe und Autor, der das Konzept der emotionalen Intelligenz in zahlreichen Veröffentlichungen beschrieben hat. Wichtige Veröffentlichungen von Daniel Goleman sind (u.a.): Goleman, D. (1997) EQ. Emotionale Intelligenz, dtv und Goleman, D. (2000) Der Erfolgsquotient: EQ 2, dtv
[4] Eisenstein, C. (2017): Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich, Scorpio Verlag